Parallel zu meiner Arbeit als bildende Künstlerin schreibe ich hin und wieder kleine Texte. Sie haben nicht den Anspruch, Literatur zu sein. Es sind Bilder mit Worten: Textbilder.

 

GEDANKEN ZUR AUFERSTEHUNG: EIN SPLITTERTEXT.

Erster Gedanke. Beginnen wir mit der Gegenwart, dem schnöden Markt: Inzwischen gibt es Internetfirmen, die auf Twitter anbieten, verstorbene User basierend auf der Analyse ihrer Tweets zu Lebzeiten in „lebendige“ Bots zu verwandeln, die weiterhin mit ihren Freunden und Verwanden kommunizieren. Andere locken sogar mit dem Angebot, als digitaler Avatar online ewig weiterleben zu können. Meine Empfindungen schwanken angesichts dessen zwischen Verständnis für die Trauernden, denen ein Fake lieber ist als der totale Verlust, und tiefer Abscheu vor dieser Anmaßung. Eine vermeintliche „Auferstehung“ wird hier zur Ware. Die Trennlinie zwischen ewigen Leben und Verdammnis verläuft nicht zwischen gottgefällig und sündhaft, sondern zwischen wohlhabend und arm. Oder eben zwischen digital-affin und analog. (1)

Zweiter Gedanke -, die Wissenschaft: Forschende wollen mit Hilfe gentechnischer Verfahren den seit den 1930er Jahren ausgestorbenen, genauer gesagt ausgerotteten Beutelwolf zurückkehren lassen. Das letzte Exemplar steht ausgestopft in einem Museum in Tasmanien. Genetisches Material ist also vorhanden. Von einer „Wiederauferstehung“ war die Rede. Mit verstorbenen Menschen wäre das theoretisch auch möglich. Theoretisch. Aber ist das „Auferstehung“? (2)

Das, was Christen überall auf der Welt zu Ostern feiern, verweist in zu tiefst mystischem Gestus auf die Überwindung des Todes, auf das ewige Leben. Ein Quell der Hoffnung und Zuversicht, das Herzstück des Glaubens. Dieses Thema wirft unweigerlich die Frage nach dem wahren Sein des Menschen auf, nach der Seele. Was genau ist es, das wieder aufersteht? Das Datenpaket aller Posts und Kommentare im Netz kann es doch ebenso wenig sein, wie das Produkt aller Gene, oder?

Dritter Ansatz. Mein persönliches Empfinden: Als Kind, etwa Vorschulalter oder erste Klasse, sah ich an einem kalten, trüben Ostersonntag eine historische Verfilmung des neuen Testaments. Allein. Ich habe inzwischen versucht herauszufinden, welche das gewesen sein könnte, aber ich bin nicht weit gekommen. Im Alter von fünf-sechs Jahren achtet man nicht auf den Namen des Regisseurs oder das Erscheinungsjahr. Schwarzweiß war damals alles. In Erinnerung geblieben sind mir nur einige Szenen am Schluss - noch betäubt von den Schreckensbildern der Kreuzigung: Die leere Grabeshöhle, das Licht, dann Jesus Christus, wie er schemenhaft überstrahlt seinen Jüngern am Himmel erscheint und verkündet, dass er auferstanden sei. Diese Bilder haben sich eingebrannt und mit ihnen auch ein Abglanz der Botschaft. Damals hab ich das geglaubt, ohne Frage. Mir war klar, dass das kein Märchenfilm ist.

Aufgewachsen im nüchternen Klima des real existierenden Sozialismusses, übte alles Religiöse einen starken Reiz auf mich aus, den Reiz des Verpönten oder zumindest des völlig anderen. Offenbar hatte ich Westfernsehen geguckt - mehr oder weniger heimlich. Verboten war es nicht, aber man musste aufpassen, wem man davon erzählt. Ich hatte nach dem Film das Gefühl, einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein, top secret. Dieser Zwiespalt setzt sich, wenn man so will, bis heute in meinen Arbeiten fort: Auf der einen Seite die Vorliebe für mystisch aufgeladene Arrangements, auf der anderen der Hang zum Komischen, Grotesken, das alle Innerlichkeit wieder zunichte macht.

Der australische Musiker Nick Cave sagt von sich, sein Glaube an Gott sei im Wesentlichen ein Zweifeln, ein innerer Kampf. Gott fungiert hier als unverrückbare Größe, die in seinen Songs immer wieder auftaucht und ohne die sich bestimmte Dinge nicht ausdrücken ließen. (3)
So ist es auch bei mir und meiner künstlerischen Arbeit. Ich greife oft auf religiöse Motive zurück, z.B. Apokalypse, Versuchung, Heiligengeschichten u.s.w.. Zum einem sind das in unserem Kulturraum bekannte, vertraute Bilder. Zum anderen, und das ist, was mich in erster Linie antreibt, sind diese mit starken Emotionen verbunden, Emotionen, die mir selbst nicht fremd sind. Die wahrscheinlich niemanden fremd sind, da sie die tiefsten menschlichen Ängste und Hoffnungen berühren, und diese sind universell.

Mich faszinieren die Gemälde und Grafiken des ausgehenden Mittelalters, der vereinfachte, expressive Umgang mit der Figur. Seit langem liegt ein kleines Insel-Büchlein mit dem Titel „Christliche Auslegung des Lebens Jesu Christi - Eine Holzschnittfolge des 15. Jahrhunderts“ auf meinem Arbeitstisch. „Die Auffahrt des Herrn“ zeigt Maria und die Jünger kniend, nach oben blickend. Von Jesus Christus schauen bloß noch die Zehenspitzen aus einer Wolke am Himmel. Zwei Fußstapfen auf einem Stein zeigen an, wo er vorher gestanden hat. So einfach lässt sich das darstellen, so einfach vorstellen. (4)

Dabei ist - so jedenfalls meine Empfindung - die Auferstehung einer der problematischsten Topoi der christlichen Lehre. An Gott glauben, das mag leicht sein. Aber an die Auferstehung? Vielleicht in Bezug auf Jesus Christus, er ist schließlich Gottes Sohn. Doch bezogen auf alle Gläubigen, auf alle Menschen? Das dürfte für Viele das Vorstellungsvermögen übersteigen, so tröstlich der Gedanke auch sein mag.

Etwas in mir ist immer Kind geblieben, und dieses Kind fragt: Wie soll das funktionieren? Treffe ich am Jüngsten Tag auch meine geliebten Haustiere wieder? Ohne Tiere würde mich das ewige Leben nicht im Geringsten locken. Und überhaupt, als was ersteht man wieder auf? Als Kind? Als Erwachsener? Und wie ist das, wenn man sich mit seinem biologischen Geschlecht bzw. Aussehen nicht identisch fühlt? Ist man dann endlich das, als was man sich immer gefühlt hat? Oder steckt man bis in alle Ewigkeit in dem Zustand fest, mit dem man sein ganzes Leben lang gehadert hat?

Das alles mag abwegig klingen, und ich hoffe, dass ich mit meinen Gedanken niemanden zu nahe trete. Das sind Kinderfragen, die dem Mysterium der Auferstehung nicht gerecht werden. Aber unser Verhältnis zu Tieren und das Hadern mit dem körperlichen Erscheinungsbild, dies sind die vielleicht wichtigsten Eckpunkte meines eigenen Schaffens. Sollte ich mich jemals zum Thema Auferstehung äußern, explizit oder verklausuliert, dann wird sich das unweigerlich um diese Fragen ranken.

 

Franca Bartholomäi © 2022, geschrieben für den Hör- und Sehraum der Katholischen Akademie des Bistums Magdeburg

Quellen

1 Jonas Frick, Politik der Geschwindigkeit - Gegen die Herrschaft des Schnelleren, S. 166-167, Mandelbaum Verlag 2021
2 DLF Forschung aktuell, 30. März 2022
3 Zitat, Nick Cave https://beruhmte-zitate.de/zitate/1841950-nick-cave-although-ive-never-been-an-atheist-there-are-per/
4 Christliche Auslegung des Lebens Jesu Christi - Eine Holzschnittfolge des 15. Jahrhunderts, Insel-Verlag Nr. 350, Leipzig 1955

 

Neugestaltung des Katharinenaltars im Magdeburger Dom, 2009, Lindenholz farbig gefasst und vergoldet

 

 

KÄFIG

Dieses Gefühl, in einem engen Raum gesperrt zu sein, sich von hier nach da zu bewegen in Sichtweite. Kurze Distanzen. Es sind immer die gleichen Wege, immer die gleichen Gedanken. Mir fehlen die Worte, diese kleine Welt zu verlassen. Alles, was ich habe, sind Bilder.

 

aus der BILDER-Serie (Kindergarten), 2024, Holzschnitt, 33 x 65 cm

 

ERINNERUNG

Manchmal kommt es mir so vor, als gäbe es keine Erinnerung. Es ist, oder es ist nicht. Und wenn es ist, dann ist es gnadenlos gegenwärtig, egal vor wie viel Jahren es sich ereignet hat, ein lebendiger Teil meiner selbst.

VOGELFRAU

Die Vogelfrau breitet ihre Flügel aus, ein silbriges Flirren. Weiße Tauben stieben unter ihren Fittichen hervor. Sie öffnet den Schnabelmund und beginnt zu singen, unbeschreiblich hoch, stratosphärisch. Gelb-rosa Spiralen breiten sich im Raum aus. Ich erschaudere bei jedem Kringel, den ich zeichne. Welche eine Wonne, welch ein Glücksgefühl. Die Filzstiftzeichnung habe ich noch heute. Es war das erste Mal, dass ich den Zauber des Bildermachens bewusst erlebt habe und als Erinnerung in dieser Form abrufen kann.

 

aus der BILDER-Serie (Spiegelung), 2024, Holzschnitt, 33 x 65 cm

 

ZOOHANDLUNG

Noch immer stehe ich vorm Schaufenster der Zoohandlung. Gelbe und blaue Wellensittiche turnen in einem Käfig hinter der Scheibe -, doppelte Trennung: Gitter und Glas. Ich will sie alle retten, ich will sie alle haben, sie zähmen, ihnen Sprechen beibringen. Wenigstens einen. Erlöserfantasien, Sehnsucht. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich bin acht, ich bin zehn, ich bin viel zu alt zum Heulen. Mutti schämt sich für mich. Eine fremde Frau spricht uns an, dass diese kleinen Vögel wirklich unkomplizierte Haustiere sind. Sie selbst hat zwei. Frostig entgegnet Mutti, dass wir auch mal einen hatten. Hat nicht funktioniert. Außerdem bekommen wir demnächst eine Katze. Das passt natürlich nicht zusammen, sagt die Frau und geht weiter.

 

Wellensittiche, 2024, Farblinolschnitt, Papiermaß 70 x 100 cm

 

BILDER

Ich kann keine Geschichten erzählen, ich kann nur Bilder machen. Selbst mein Leben zerfällt in eine Aneinanderreihung von Bildern - hoch aufgeladen, verdichtet, intensiv. Wo kein Bild ist, da ist nichts.

VIETNAM

Mein Spiegelbild zittert. Gelbliche Schatten huschen über mein Gesicht. Gitterstäbe erscheinen und verschwinden wieder. Ein Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen: Ich bin in Vietnam, ich bin in Hanoi - im Tempel der Literatur. Dass ich hier bin, grenzt an ein Wunder. Beinah hätte ich „Wunde“ geschrieben -, das hätte es besser getroffen. Ich bin meiner Sprache amputiert, meines Denkens, meiner Selbst. Noch immer kann ich es nicht fassen, hier zu sein. Hier, das ist nirgends. Hier gibt es nicht. Ich stehe an einem Goldfischteich und schaue ins Wasser. Kalte Münder durchstoßen die Oberfläche. Kleine Löcher öffnen sich in meiner Brust, Abgründe, die ins Bodenlose führen.

 

© Franca Bartholomäi, 2024