Als gegenständlich arbeitende Künstlerin wird man immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Was soll das bedeuten?“ Das ist eine schwierige Frage. Was bedeutet unsere Träume? Man kann bestenfalls eine bestimmte Richtung erkennen, aber nicht jedes Detail entschlüsseln. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einzelne Werke oder Werkgruppen genauer vorstellen:

 

ERIMITIN (Im Gehäuse)

 

ERIMITIN (Im Gehäuse), 2015

Mein Holzschnitt-Dipthychon "ERIMITIN..." ist eine Neuinterpretation von Dürers berühmten Kupferstich „Der Hl. Hieronymus im Gehäuse“. Ich habe dieses Bild bereits als Kind sehr geliebt. Wegen der Tiere. Aus dem Löwen wurde bei mir ein zottiger Hund, aus dem schlafenden Hundewelpen eine Katze. Der Heilige erscheint in meiner Darstellung als Einsiedlerin, die sich vertieft über ihre Arbeit beugt. Statt des Totenschädels schaut ihr eigener Kopf zum Fenster herein.

Der Hl. Hieronymus übersetzte der Überlieferung nach einen Großteil Bibeltexte ins Lateinische. Auch Kunstmachen ist eine Form der Übersetzung: Die Übersetzung der flüchtigen, energiegeladenen Ideen in machbare Werke. Und auch dabei gibt es immer Verluste. Eins zu eins kann man den Zauber dessen, was einen inspiriert hat, niemals wiedergeben. Ideen fluktuieren. Das macht ihren Reiz aus. Daher rührt auch mein Antrieb, mich immer wieder an die Arbeit zu setzen. Bestenfalls gelingt es, ein bisschen was von dieser Kraft durchscheinen zu lassen. 

 

aus der Serie MELENCOLIA INFANTILIS Werkzeug, Körper und Dämon

 

Serie MELENCOLIA INFANTILIS

Die Serie MELENCOLIA INFANTILIS ist eine grafische Reflexion über Dürers berühmten Kupferstich MELENCOLIA I. Dieses Werk hat Kunsthistoriker und Philosophen seit je her beschäftigt. Es ist mehr als nur die Darstellung eines der vier Temperamente. Es ist eine weiterführende, hochkomplexe Auslegung über die Natur des Denkens, über die grundlegende Distanz des zögernden, alles in Frage stellenden Menschen zur Welt und ihrem Treiben.

Gewiss ist mir von allen Temperamenten die Melancholie am nächsten. Insofern ist die ganze Serie ein Bekenntnis. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Untersuchung, wo und wie die Gabe bzw. der Zwang, Kunst zu machen, bei mir anfing. Schon als Kind habe ich am liebsten gezeichnet, gelesen, geschrieben. Habe am liebsten nachgedacht. Ich war ein stilles, wenn man so will, melancholisches Kind.

Ich habe mir verschiedene Elemente aus Dürers MELENCOLIA I herausgesucht und sie auf meine eigene Weise interpretiert: Hund… Feuertopf... Dämon… Baustelle...Werkzeug... Das Motiv „Werkzeug“ zeigt die Messer und Stifte, mit denen ich als Grafikerin arbeite. Auffällig an diesem Blatt sind die Überlagerungen im oberen Bereich. Bei diesen Figuren handelt es sich um Reste einer Vorzeichnung, die ich irgendwann verworfen und mit der jetzigen Komposition überlagert habe. Später, beim Schneiden habe ich die kaum noch sichtbaren Bleistiftlinien nachgeritzt und somit wieder hervorgeholt. Insofern hat das melancholische Zögern-Nachdenken-Infragestellen hier direkt seine Spuren im Holz hinterlassen.

Das Wiederhervorholen alter Vorzeichnungen und das Überlagern verschiedener Motivebenen sind typisch für meine Arbeiten. So entsteht die Dichte, die ich anstrebe, und das manchmal absurde Nebeneinander. So gesehen ist die Serie MELENCOLIA INFANTILIS auch eine Reflexion über meine eigene Arbeitsweise.

 

aus der Serie BILDER (Krikelkrakel)

 

Serie BILDER, 2024

Die insgesamt 8-teilige Serie „BILDER“ entstand 2024 im Rahmen eines Arbeitsstipendiums der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, damals noch unter dem Arbeitstitel „BILDER AUS DER BERNSTEINHÖHLE – Eine Fantasy-Doku“.

Ziel meiner kleinen Dokumentation war es, die verschlungenen Pfade meiner Inspiration aufzuzeigen, das zu tiefst Persönliche, das zutiefst Menschliche – das, was uns von der kalten Perfektion computergenerierter Bilder unterscheidet, einschließlich der Brüche, Wendungen und Fehlstellen. Dazu tauchte ich gedanklich ab zu den Anfängen meiner Bildproduktion.

Als Kind hab ich permanent Geschichten gezeichnet, mit Filzstift auf DinA-4-Zeichenblockpapier. Meine Mutter musste die Blätter in der von mir gewünschten Reihenfolge zusammennähen. Genau genommen handelte es sich dabei immer um ein und die selbe Geschichte, nur in verschiedenen Versionen. Der fantastisch gefahrvolle Einstieg in die Bernsteinhöhle war ein immer wiederkeh-rendes Motiv aus diesen „Büchern“.

Mich mit der Erinnerung bzw. der eigenen Innenwelt zu beschäftigen, ist für mich eine notwendige Rückversicherung: Woher komme ich, woher kommen meine Bilder? Ich weiß, das sind vollkommen subjektive Fragen. Man mag mir vorwerfen, ich sei als Künstlerin nicht politisch genug. Wenn man von mir plakative tagesaktuelle Aussagen erwartet, mag das stimmen. Aber das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft ist durchaus ein politisches Thema. Als Asperger-Autistin erlebe ich diesen Konflikt besonders intensiv und zwar tagtäglich. Für mich ist er geradezu existenziell, die treibende Kraft hinter meinem Schaffen. Oft auch die lähmende... Denn diese Welt ist nicht VON und nicht FÜR Autist*innen gemacht. Damit stehen meine Erfahrungen exemplarisch für all jene, die nicht der Masse, die nicht der „Normalität“ entsprechen. Und all jenen gilt meine tiefe Sympathie.

 

 

aus der Serie IN SITU (Malerin, Mutter und Mauer)

 

Serie IN SITU, 2016-18

IN SITU heißt „vor Ort“. Die Holzschnitt-Serie entstand, als der Altbau, in dem ich seit 1998 wohne und arbeite, verkauft werden sollte bzw. verkauft wurde. Ursprünglich war das Haus, wie soll man sagen, kommunales Eigentum, übergegangen aus dem DDR-Bestand in den Besitz einer städtischen Wohnungsgesellschaft. Lange Zeit stand das für niedrige Mieten bei zurückhaltender Sanierung. Inzwischen lebten fast ausschließlich Künstlerinnen und Künstler in dem Gebäude. Doch es kam, wie es kommen musste. Wie überall. Das Objekt wurde auf den freien Markt gestoßen und somit der Gentrifizierung preisgegeben. Aus Angst, dem Willen eines privaten Investors ausgeliefert zu sein, habe ich sehr um dieses Haus gekämpft. Höhere Mieten hätte keiner von uns kleinen Freiberuflern auf Dauer stemmen können. Aber ich wollte auch nicht ausziehen, ich wollte VOR ORT bleiben. Mein Freund wohnt um die Ecke, und bis zur Kunsthochschule Burg Giebichenstein, wo ich einen Lehrauftrag habe, sind es nur ein paar Minuten zu Fuß. Wohnung und Atelier waren über Jahre hinweg quasi um mich herumgewachsen, zu einem Teil von mir geworden. Der Gedanke, mein Gehäuse verlassen zu müssen, bereitete mir fast körperliche Schmerzen. Ist eine solche Haltung „don quijotesk“ und damit letztlich selbstschädigend? Oder ist sie bewusst subversiv? Ich weiß es nicht. In einer Welt, in der Mobilität und Flexibilität als die Tugenden an sich gelten, ist das trotzige Beharren auf Ortstreue zumindest ein Fragezeichen im (städtischen) Raum.

Von Natur aus eher introvertiert habe ich vorm Stadtrat gesprochen, zig Treffen mit dem Oberbürgermeister und der Wohnungs-gesellschaft erwirkt, bei verschiedenen Institutionen für unsere Sache geworben und letztlich auch Unterstützer gefunden. Am liebsten wäre mir gewesen, die Stadt Halle hätte das Haus als sozio-kulturelles Biotop in ihrem Bestand gehalten, aber dahin führte definitiv kein Weg. Am Ende ermöglichte man mir bzw. uns wenigsten, das Haus selbst zu kaufen, als kleine Gruppe von drei-vier Leuten.

Dieser aufreibende Prozess zog sich über ein ganzes Jahr lang hin, von Anfang 2016 bis Anfang 2017. Die Serie IN SITU erzählt von meinen Empfindungen während dieser Zeit, dem Nebeneinander von Angst und Aufbruchsstimmung, Bedrohung und Widerstand, Machtlosigkeit und Hoffnung. Wohnen ist mehr als nur ein Dach überm Kopf. Wohnen ist Leben.

 

 

drei Motive aus der Serie VOGELDÄMMERUNG

 

VOGELDÄMMERUNG

Rauch- von Mehlschwalben zu unterscheiden, lernte ich noch bevor ich lesen und schreiben konnte. Eines Morgens weckte mich meine Oma, und in den Händen hielt sie eine kleine Rauchschwalbe, die sich beim Lüften in die Wohnung verirrt hatte. Ich muss vier-fünf Jahre alt gewesen sein und kann mich noch genau an die ängstlich glitzernden Kulleraugen erinnern: So schwarz! So klein! Und dann dieser breite gelbe Babyschnabel! Gemeinsam ließen wir das Schwälbchen wieder durchs offene Fenster fliegen.

Damals kreisten noch Heerscharen von Schwalben am Himmel – bei gutem Wetter hoch, bei schlechtem niedrig. Ihre getöpferten Nester klebten überall unter den Dachsimsen und in den Ställen. Als Fliegen- und Mückenjäger waren gern gesehene Gäste auf dem Dorf. Später, nach der sogenannten Wende wurden viele Häuser und Höfe saniert. Man schlug man die Schwalbennester mit langen Stangen ab, weil die Vögel die neu gemachten Fassaden beschmutzten. Heute sieht man kaum noch Schwalben. Aber wann immer ich eine sehe, checkt mein Kinderblick, Rauch oder Mehl, und für einen Moment fühle ich mich meinen Großeltern nahe, die schon lange nicht mehr leben.

Die Serie VOGELDÄMMERUNG ist ein komplexes Werk. Jedes Einzelmotiv hat seine eigene Geschichte. In vielen Kulturen gelten Vögel als Boten der Götter oder Ahnen. Ausgestattet mit der Fähigkeit zu fliegen, stehen sie in Kontakt zu Sphären, die uns Menschen verwehrt bleiben – jedenfalls nicht ohne technische Hilfsmittel, und das ist nicht das selbe. Am ehesten nährt man sich dieser Gabe durch Träumen und Imaginieren. Vögel verleihen unserer Fantasie Flügel. Sie erweitern unsere Welt.

 

 

aus der Serie EQUUSATION (Netz und Fernsehturm)

 

EQUUSATION

EQUUS ist lateinisch und heißt „Pferd“. EQUUSATION ist eine eigene Wortschöpfung und soll so viel wie „Pferdwerdung“ bedeuten. Pferde spielten in meiner kindlichen Fantasiewelt eine wichtige Rolle. Sie waren die Wächter, die Wächter meiner Traumwelt. Bereits als Kind habe nicht gern ferngesehen. Ich habe lieber geträumt und mir selbst Geschichten ausgedacht. Die Verbindung von Ton und bewegtem Bild wurde und wird mir schnell zu viel. Anfangs war mir gar nicht klar, dass ich mit dieser Marotte ziemlich allein dastehen dürfte. Doch in einer von audiovisuellen Medien dominierten Welt, falle ich damit gewissermaßen aus dem System. Davon erzählen die kleinen Grafiken der Serie „EQUUSATION“, vom Kampf um die ureigenen Bilder und das ureigene Tempo der Bildrezeption.